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Mehr Natur, Feuchtgebiete und
biologische Vielfalt


Mit der «Vision 3-Seen-Land 2050» zeichnen fünf Umweltorganisationen ein hoffnungsvolles Bild der landschaftlichen und landwirtschaftlichen Entwicklung in der Region. Für die heute stark vom Ackerbau geprägten Schwemmebenen rund um die drei Jurarandseen definieren sie Eckpunkte einer nachhaltigen Entwicklung. Gefragt ist künftig eine standortangepasste Bewirtschaftung, welche die Ansprüche der Landwirtschaft mit der Entwicklung neuer Naturräume, dem Schutz der Biodiversität und einer sinnvollen touristischen Nutzung verbindet.

Das Grosse Moos im 3-Seen-Land – landesweit bekannt als «Gemüsekammer der Schweiz» – ist im Umbruch. Auf den degradierten Moorböden der ehemaligen Schwemmebenen rund um Murten-, Neuenburger- und Bielersee arbeiten die Bagger auf Hochtouren, um die in den vergangenen Jahrzehnten teils um bis zu 2 Meter abgesackten Äcker mit Bodenabtrag von Baustellen aufzufüllen. Vielerorts hat sich der durch weiträumige Drainagen entwässerte Torf im Lauf der Jahrzehnte stark abgebaut. Dadurch liegen die Drainagerohre inzwischen nur noch wenig unter der Erdoberfläche und können bei intensiven Niederschlägen die Felder nicht mehr tiefgründig entwässern. Umgekehrt trocknen die Böden rasch aus, weil ihre Speicherfähigkeit zum Rückhalt von Wasser stark abgenommen hat – einerseits durch den Torfschwund und andererseits als Folge der intensiven Bewirtschaftung mit schweren Landmaschinen. Ob völlig ausgetrocknet oder stark vernässt – beide Extreme erschweren die Bewirtschaftung und beeinträchtigen die Bodenfruchtbarkeit.

Ein Gang in die Sackgasse

Es gibt Stimmen, die diesen Problemen mit künstlich aufgeschütteten Böden und einer 3. Juragewässerkorrektion begegnen wollen. Demnach soll künftig die öffentliche Hand für neue Drainageleitungen und eine flächendeckende Infrastruktur zur künstlichen Bewässerung aufkommen. Anzapfen möchte man dafür die Wasserreservoire der drei Jurarandseen und ihrer Verbindungskanäle.
Die einst ergiebigen Moorböden verlieren aufgrund ihrer Zersetzung immer weiter an Fruchtbarkeit. Damit ist die Gefahr einer abnehmenden Ertragssicherheit real. Um insbesondere den Anbau von Gemüse besser kontrollieren und saisonal verlängern zu können, verlagern die bäuerlichen Betriebe ihre Produktion vermehrt vom Acker in Gewächshäuser und Folientunnel. Deren Fläche wächst nicht nur am Rand der Siedlungen, sondern auch in der offenen Landschaft.

Hoher Preis eines intensiven Ackerbaus

Die bisherige Entwicklung der Landwirtschaft im 3-Seen-Land und ihre Zukunftspläne führen jedoch in eine Sackgasse. Denn die weiträumige Zerstörung der organischen Böden ist längst nicht die einzige Fehlentwicklung bei der Ausrichtung dieser Region auf die Ansprüche der Intensivlandwirtschaft. Auch die verarmte Landschaft, die ausgeräumten Naturelemente, der alarmierende Verlust an Biodiversität sowie die kanalisierten und naturfremden Gewässer erweisen sich als gravierende ökologische Hypotheken. Wegen hoher Belastung des Grundwassers mit Nährstoffen und Rückständen von Pestiziden lässt sich die in der Schweiz wichtigste Ressource für die Trinkwasserversorgung vielerorts im 3-Seen-Land nicht mehr nutzen.

Zukunftstaugliches 3-Seen-Land

Weil das Rezept «Weiter wie bisher» keine nachhaltig tragfähige Option sein kann, haben die fünf Umweltorganisationen BirdLife Schweiz, Pro Natura, Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, Schweizerischer Fischereiverband sowie der WWF Schweiz entschieden, gemeinsam ein Zukunftsbild für die Region zu entwerfen. Die nun vorliegende «Vision 3-Seen-Land 2050» betrachtet neben dem Seeland auch die Flussebenen der Broye, Orbe und Aare bis zur Grenchner Witi im Grenzgebiet der Kantone Bern und Solothurn.

Typisch für den ausgewählten Perimeter sind die ausgedehnten ehemaligen Flachmoore in den Schwemmebenen der grösseren Seezuflüsse. Sie wurden vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts grossräumig entwässert und in Kulturland umgewandelt. Diese Binnenkorrektion erfolgte derart flächendeckend, dass im Kulturland praktisch keine natürlichen Feuchtgebiete und Moorinseln mehr erhalten blieben.

Zerrbild des Gemüsegartens

Ausserhalb der Region wird das Image des Seelands derzeit einseitig vom Bild des nationalen Gemüsegartens geprägt, für dessen Erhalt und Förderung – im Interesse der Selbstversorgung und Ernährungssicherheit – alles Denkbare unternommen werden muss. Diese Aussensicht ist verzerrt, da sie die negativen Auswirkungen der intensiven ackerbaulichen Nutzung auf Landschaft, Böden, Klima, Gewässer, Pflanzen und Tierwelt ausblendet. Sie ist auch blind für die Tatsache, dass der Gemüsebau im 3-Seen-Land nur rund 6 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche belegt. Viel dominanter ist hier der Anbau von Futterpflanzen – wie insbesondere Mais – für die Nutztierproduktion.

Gefährdung der Produktionsgrundlagen

Indem die landwirtschaftliche Praxis wichtige Ökosystemleistungen massiv beeinträchtigt, gefährdet sie letztlich ihre eigene Produktionsgrundlage. Die durch Bodenschwund, Wassermangel und Artenverluste sowie Boden-, Luft- und Wasserverschmutzung verursachten Probleme stellen auf vielen Äckern schon heute die Produktion von Nahrungsmitteln in Frage.

Übergeordnete Ziele wie intakte Gewässer, sauberes Trinkwasser, Klimaschutz, Förderung und Schutz der Biodiversität, Landschaftsästhetik oder touristische Anliegen lassen sich unter den gegebenen Bedingungen nicht erreichen.
Diesen Defiziten ist auch mit extrem kostspieligen technischen Bodensanierungen, neuen Drainagen und Bewässerungsleitungen nicht beizukommen. Damit betreibt man Symptombekämpfung, ohne die Ursachen der Probleme anzugehen.

Ökologie und Landwirtschaft zusammenbringen

Die raumgreifenden Aktivitäten der intensiven Landwirtschaft im Projektgebiet lassen heute nur wenig Platz für anderes. Ohne eine Umverteilung von Flächen lassen sich die ökologischen Ziele der «Vision 3-Seen-Land 2050» nicht erreichen. Doch kann dies gelingen, ohne dadurch die einheimische Produktion gesunder Lebensmittel oder die Einkommen der Bauernbetriebe zu gefährden? Einen gangbaren Ausweg bietet die Verlagerung des Anbaus auf Nahrungsmittel für den menschlichen Konsum – anstelle von Futtermitteln. Dadurch und dank dem Vermeiden von Foodwaste vom Feld bis in die Küche verbessern sich der Selbstversorgungsgrad und die Ernährungssicherheit. Auf diese Weise können auf weniger Ackerfläche mehr nutzbare Lebensmittel erzeugt werden. Produziert wird künftig auf intakten Böden – und zwar so, dass auch die Lebensraumansprüche der regionalen Zielarten von Flora und Fauna gewahrt bleiben.

Die Interessenkonflikte zwischen Natur und Landwirtschaft sind kleiner als man meinen könnte. Langfristig hängen nämlich beide von lebendigen Landschaften, natürlichen Strukturen und Lebensräumen, gesunden Böden und sauberem Wasser ab. Es lohnt sich daher, gemeinsam an Lösungen für die Herausforderungen bei der Bewirtschaftung des Kulturlandes zu arbeiten.

Die «Vision 3-Seen-Land 2050» strebt denn auch eine ganzheitliche Lösung an. Sie soll einen schonenden Umgang mit den natürlichen Ressourcen fördern, neue Formen der Landwirtschaft ermöglichen und Natur, Landschaft sowie intakten Gewässern Rechnung tragen. Dazu braucht es die Kooperation aller Betroffenen und ein gemeinsames, partizipatives Vorgehen.




Wissenschaftliche Bestandsaufnahmen

Grundlage des Projekts bilden fünf wissenschaftlich fundierte, ausführliche Berichte zu den Themen Wasser, Boden, Biodiversität, Landwirtschaft und Landschaft von spezialisierten Fachleuten. Sie zeigen die Probleme in den einzelnen Bereichen und gangbare Lösungsansätze auf. Aus diesen Teilberichten entstand in einem weiteren Schritt die Synthese der Vision.

Schwerpunkte der Vision bilden folgende Themen: Moorböden und degradierte Flächen werden zur Revitalisierung von Flachmooren und weiteren Feuchtgebieten freigegeben. Fliessgewässer und ihre Auen sind zu renaturieren. Zusätzliche Biotope in Form von Hecken, Tümpeln, blütenreichen Lebensräumen und extensiv bewirtschafteten Flächen fördern die Biodiversität weiter und tragen zu einer abwechslungsreicheren Landschaft bei. Zentral ist, dass die Landwirtschaft mit angepassten Kulturen und Anbautechniken die Biodiversität begünstigt und zum Beispiel dank Nützlingen selbst wieder von der höheren Artenvielfalt profitiert.




Geringerer Produktionsdruck

Die «Vision 3-Seen-Land 2050» macht zwei gesellschaftliche Trends aus, welche den Produktionsdruck auf die bäuerlichen Betriebe dämpfen und ihren Bedarf an Anbauflächen verringern, ohne den Grad der Selbstversorgung zu schmälern. Erstens will der Bund die Lebensmittelverluste bis 2030 halbieren. Heute gehen durch Foodwaste in der Schweiz mehr als 30 Prozent aller Nahrungsmittel verloren. Werden künftig mehr Lebensmittel konsumiert statt nutzlos weggeworfen, bleibt mehr Raum für die Natur.

Zweitens ernähren sich hierzulande immer mehr Menschen fleischarm und vegetarisch oder kommen gänzlich ohne tierische Nahrungsmittel aus. Dieser Trend begünstigt den Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln wie Gemüse, Kartoffeln und Getreide für den direkten menschlichen Verzehr. Neue Chancen bieten der einheimischen Landwirtschaft zudem Hülsenfrüchte als Alternative für eine pflanzenbasierte Eiweissversorgung oder Nassreis. Dagegen dürfte sich der Anbau von Futtermitteln für Nutztiere, die auf gleicher Fläche nur etwa einen Fünftel der Nahrungskalorien liefern, rückläufig entwickeln.

Dank dieser Trends kann die Landwirtschaft im 3-Seen-Land in Zukunft auf einer geringeren Fläche weniger intensiv produzieren, ohne ihren Beitrag zur Ernährungssicherheit zu schmälern. Zugleich lassen sich nicht mehr benötigte Äcker für die Gestaltung einer landschaftlich attraktiveren, artenreicheren und feuchteren Landschaft nutzen.

Aktive Rolle der öffentlichen Hand

Einen grossen Spielraum für die Umnutzung von Ackerflächen bietet der hohe Landanteil der öffentlichen Hand in der Region. Auf hunderten von Hektaren bietet sich hier die Chance für das Zukunftsmodell eines Ackerbaus, der seine Produktion naturfreundlich ausrichtet und so die Rolle eines ökologischen Gemüsegartens erfüllt. Auf tiefgründigen Böden würden also – biodiversitätsfördernd und wassersparend – Nahrungsmittel für den direkten Verzehr produziert. Hingegen blieben degenerierte Flächen und Moorböden der Natur vorbehalten.

Steuernd eingreifen können Bund, Kantone und Gemeinden zusätzlich mit höheren Direktzahlungen für ökologische Leistungen. Unterstützend wirken auch gezielte Bewirtschaftungsauflagen für das von ihnen verpachtete Land und Subventionen, die Einzelbetrieben bei der Anpassung ihrer Produktion an die neuen Ernährungsmuster helfen.

Hoffnungsvolles Bild der Zukunft

Die «Vision 3-Seen-Land 2050» zeigt auf, in welche Richtung sich die Region entwickeln muss und kann, um für aktuelle und kommende Herausforderungen besser gewappnet zu sein. Dazu gehören speziell die Klimakrise, die Verluste an Biodiversität und die Zerstörung von fruchtbaren Böden.

Es ist Aufgabe der Politik, die Weichen so zu stellen, dass die Bauernbetriebe natürliche Ressourcen wie Boden und Wasser künftig nachhaltig nutzen und in Einklang mit den ökologischen Anforderungen an eine klimaresiliente Landschaft wirtschaften. Dabei sollen die in der Vision formulierten erweiterten gesellschaftlichen Ziele in die künftigen Planungen im 3-Seen-Land und in eine nachhaltige Bewirtschaftung des Kulturlandes einfliessen.

Bei aller Kritik an den gegenwärtigen Defiziten zeichnet die Vision auch ein hoffnungsvolles Bild der Zukunft. Denn sie entwickelt Strategien, welche die scheinbaren Gegensätze zwischen dem Wohlergehen der Bäuerinnen und Bauern und anderen gesellschaftlichen Ansprüchen auflösen. Die landwirtschaftliche Produktion lässt sich durchaus in Einklang bringen mit den Bedürfnissen nach attraktiven Landschaften, intakten Gewässern, hochwertigem Trinkwasser und artenreichen Lebensräumen. Ein fruchtbares Zusammenleben ist möglich und notwendig.


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